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Andreas Hofmeister, Landtagsabgeordneter der CDU, und Melanie Enning, Praxisinhaberin von PhysioKonzept Enning, tauschen sich über die Situation der ambulanten Physiotherapie aus. (Foto: PKE)

Ambulante physiotherapeutische Versorgung von Kassenpatienten bedroht

Politiker über die drängenden Probleme der ambulanten physiotherapeutischen Versorgung zu informieren, das ist das Ziel von Melanie Enning, Inhaberin der Praxis PhysioKonzept Enning.

„Andreas Hofmeister hat sofort zugesagt, den Alltag in unserer Praxis im Herzen der Bad Camberger Altstadt hautnah zu erleben.“ Der hessische Landtagsabgeordnete der CDU kam am 1. März, um sich einen detaillierten Einblick in den Arbeitsalltag eines Heilmittelerbringers der Region zu verschaffen.

„In den letzten Jahren wurde zwar in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Gesundheitsbranche vor vielen Herausforderungen steht. Doch dabei werden jedoch eher stets die gleichen Gesundheitsberufe als besonders leidtragend dargestellt. Andere Gesund-heitsberufe, die sich in einer ähnlichen oder vielleicht in einer noch drängenderen Notlage befinden, wie etwa die Heilmittelerbringer, zu denen auch die Physiotherapie gehört, stehen in der öffentlichen Wahrnehmung eher hinten an,“ erläutert Andreas Hofmeister seinen Beweggrund.

Politiker macht Mini-Praktikum in Bad Camberger Physiotherapie-Praxis
„Ich bin wirklich beeindruckt von diesen wenigen Stunden“, berichtet Hofmeister. „Enormer Zeit-druck, hochkonzentriertes professionelles Arbeiten, umfangreiches medizinisches Fachwissen gepaart mit Freundlichkeit und Verständnis – das war die eine Seite meiner heutigen Erfahrung. Aber es war zugleich wichtig mitzubekommen, wir viel (unbezahlte) Zeit neben der Arbeit am Menschen für bürokratische Arbeiten aufwendet werden müssen. Ich hörte auch zum ersten Mal von sogenannten Absetzungen der Kassen, wenn auf dem vom Arzt ausgestellten Verordnungen („Rezept“) Formfehler zu finden sind. Nicht nur hier gibt es meines Erachtens wirklich einen dringenden Handlungsbedarf.“

Melanie Enning ergänzt: „Diese Absetzungen sind wirklich ein reales Schreckensgespenst, denn wir Therapeuten erbringen ja die vom Arzt verschriebene Leistung und erhalten dennoch oftmals unser Geld dafür nicht.  Hinzu kommt der tägliche Zeitdruck. Die reine Behandlungs¬zeit ist mittlerweile von den Krankenkassen auf etwa 12,5 Minuten pro Behandlung reduziert worden! Das ist dem Patienten nicht vermittelbar und für den Therapeuten nicht umzusetzen, so dass wir zumeist doch am Ende bis zu 20 Minuten behandeln. Der begleitende Aufwand ist zudem nicht mehr darstellbar: Rezepteingabe, Korrekturen und Abrechnung, Befundung, Durchsicht ärztlicher Berichte, Terminvergabe, Doku¬mentation, Erstellung von Therapieberichten, Vor- und Nachbereitung des Raumes, Reinigung entsprechend der Hygienevorschriften. Und: Wir sind noch immer das Inkassobüro für die Krankenkassen und müssen die ganz unterschiedlich hohen Rezeptgebühren mit großem Ver¬waltungsaufwand einnehmen und abführen“, erläutert Enning.

Ambulante Versorgung von Kassenpatienten in Gefahr
„Wenn man in der heutigen Zeit Kassenpatienten eine hochwertige, qualifizierte physio-therapeutische Behandlung zukommen lassen möchte, dann decken die Einnahmen in vielen Fällen nicht einmal die Kosten. Viele Praxen sind nicht mehr bereit und nicht mehr in der Lage, diesen Weg zu gehen und stellen auf die ausschließliche Behandlung von Privatpatienten um“, erklärt Melanie Enning die Entwicklung. „Nehmen Sie beispielsweise eine Krebspatientin, die seit Monaten von Praxis zu Praxis läuft, um Termine für die medizinisch notwendige Manuelle Lymphdrainage zu erhalten. Sie wird kaum Erfolg haben. Mittlerweile bieten immer weniger Praxen diese Behandlungsform an, da sie völlig unwirtschaftlich ist. Der notwendige Zertifikatskurs kostet den Therapeuten circa 1.500 Euro – und dafür ist der Minutenpreis der Behandlung dann geringer als für eine normale Krankengymnastik. Das macht keinen Sinn und wir können diesen Missstand einfach nicht mehr auffangen.“ C. Askari, Patientin der Praxis, erlebt genau dies und bestätigt: „Ich benötige dringend Manuelle Lymphdrainage. Mir ist es jetzt, nach rund zwei Monaten mit sehr vielen Telefonaten, gelungen, einen Termin für Manuelle Lymphdrainage allerdings nur in der weiteren Region zu bekommen.“
Einen anderen Aspekt der physiotherapeutischen Versorgung sprach Doris Maul an, ebenfalls Patientin der Praxis. „Mir fehlt die Möglichkeit des eigenverantwortlichen Handelns als Patientin nach einer festgestellten Diagnose des Arztes. Das Grundprinzip lautet: Wenn ich operiert werde, erhalte ich das volle Programm. Entscheide für mich, aus welchen (guten) Gründen auch immer, gegen eine Operation, dann werde ich derzeit eher vom System bestraft und muss die Heilmittel selbst bezahlen.“

Fachkräftemangel auch in der Physiotherapie
Wie viele andere Berufsgruppen auch, leidet die Physiotherapie unter dem Fachkräfte¬mangel. Die anspruchsvolle Ausbildung mit dem Abschluss zum Staatlich an¬erkannten Physiotherapeuten bzw. in selteneren Fällen zum Bachelor-Abschluss Physiotherapeut BSc muss größtenteils eigenfinanziert werden, Ausbildungsvergütung eine Seltenheit. Das durchschnittliche Jahresgehalt liegt zudem beispielsweise deutlich unter dem der Altenpflege. „Kein Wunder ei-gentlich, dass junge motivierte Menschen kaum noch Lust haben, diesen wirklich tollen Job machen zu wollen. Dennoch sage ich noch immer: Ich habe meinen Traumberuf gefunden“, so Enning.
Andreas Hofmeister resümiert nach seinem Tag in Bad Camberg: „Detaillierte Kenntnisse der Herausforderungen verschiedener Branchen der Region ist eine Voraussetzung verantwortungsvollen politischen Handelns. Und genauso bereichernd habe ich diesen Tag heute in einer ambulanten Physiotherapiepraxis auch erlebt.“